Heilerinnen - Wernges

Direkt zum Seiteninhalt

Heilerinnen

BRAUCHTUM > Sagen und Geschichten

Heilerinnen
Wahrscheinlich gab es auch noch im Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Dörfern Heilerinnen. Zu ihnen konnte man mit seinen Beschwerden gehen. Behandelt wurde mit Kräutern, Handauflegen oder Besprechen (Bisbeln).
In Wernges wurde mir von zwei Heilerinnen erzählt. Eine bisbelte und der Fußweg zu ihr gehörte bereits zur Therapie. Der  Gang musste geheim bleiben und man durfte auf dem Weg zu ihr nicht reden.
Jedenfalls machten sich Kinder den „Spaß“, jemanden, bei dem man vermutete, dass er  auf dem Weg zum Bisbeln war, freundlich zu grüßen oder anzusprechen und so zum Reden zu zwingen. Schweigen nutzte nichts. Jeder wusste dann warum. Die Sache war nicht mehr geheim. In jedem Fall wäre das anschließende Bisbeln wirkungslos geblieben. Man (meistens Frau) musste den Gang verschieben.
Eine „fortschrittliche“ Werngeserin litt unter Warzen. Man empfahl ihr zum Bisbeln zu gehen. Sie lehnte diesen Humbug ab. Ging dann nach langem „Leiden“  aber doch und wurde geheilt.
Wernges hatte zu dieser Zeit noch eine weitere Heilerin. Diese linderte oder beseitigte Schmerzen durch Handauflegung und Streicheln.


Von Warzen konnte man sich auch in Eigentherapie befreien. Damals ging ein Leichenzug noch vom Trauerhaus zum Friedhof. Wusch man sich am Wierebon (Weidenborn) in dem Moment die Hände, in dem der Sarg über dem Graben war, so konnte man damit rechnen, dass die Warzen bald verschwanden.

rechts: Wierebon
Ob er eine Warze loswerden will?


Alles wirkungsloser Humbug aus dem Mittelalter?
So einfach ist das nach meiner Meinung nicht. Vergleichbare Praktiken gab und gibt es bei allen Völkern. Und einen gewissen Erfolg müssen sie haben, sonst hätten sie sich nicht überall so lange gehalten und wären, wenn ich recht informiert bin, nicht schon wieder im Kommen.
Für mich gibt es einige Erklärungen:

  • Die meisten Krankheiten und Schmerzen gehen mit oder ohne Therapie wieder von alleine weg. Eine geschickte Heilerin wird natürlich den Eindruck erwecken, das Verschwinden des Leidens sei auf ihre Behandlung zurückzuführen.

  • Zuwendung und Beachtung können Schmerzen und Krankheiten lindern und wohl auch beheben.

  • Entscheidend ist, dass man an eine Heilung oder Linderung glaubt. Zu Recht sagt man: „Der Glaube versetzt Berge.“  Da muss man sich nicht wundern, wenn er das auch mal mit einer Warze schafft.


Hierzu ein Beispiel:
Beim Sport im Freien liefen Grundschulkinder meiner Schule im Gänsemarsch über das Nest von Erdwespen. Die Wespen stürzten sich auf die Kinder und stachen viele mehrfach. Wir sammelten die Kinder im Umkleideraum und riefen den Arzt. Mit einiger Mühe gelang es ihm, das Wehgeschrei zu übertönen.

Er hielt eine Flasche nach oben und erzählte den Kindern, dass er darin ein ganz tolles Mittel gegen Wespenstiche habe. Jedes Kind müsse 3 Tropfen nehmen. Er hatte Pappbecher mitgebracht, die schnell mit etwas Wasser gefüllt wurden. Meine Aufgabe war es, in die Becher je 3 Tropfen zu geben. Die Kinder holten sich ihre Becher und gingen zum Flur. Das Weinen hatte ein Ende. Die Tropfen wirkten.
Als ich den Arzt nach seinem Wundermittel fragte und ihm sagte, dass einige Kinder die Becher bereits weggenommen hatten, bevor ich die Tropfen einfüllen konnte,  sagte er, das sei nicht schlimm. In seiner Wunderflasche hatte er auch nur Leitungswasser. Entscheidend war, dass die Kinder an die Wunderkraft der Tropfen glaubten. Und das war ihm gelungen. Eines der kleinen Mädchen sagte später zu mir: „Gut, dass ich die Tropfen gekriegt habe. Ich wäre bestimmt gestorben.“

Der Glaube an ein Medikament oder eine Heilungsmethode ist wichtig. Oft reicht dieser schon aus, um Beschwerden zu lindern oder zu beheben.  
Sie wirken sicherlich nicht immer so schnell und effektiv, wie das Leitungswasser unseres klugen Doktors, aber manchmal lindern, vielleicht sogar heilen, das wird es geben - wenn man dran glaubt.
Mit Handauflegen, einem geheimnisvollen Zauberspruch und Kerzenschein im dunklen Zimmer hätte eine Heilerin einen Wespenstich  sicherlich genauso erfolgreich behandelt. Bei einem Kleinkind setzt ja die Schmerzlinderung bereits ein, wenn die Oma es auf den Schoß nimmt und „Heile, heile Gänsche“ singt.
Knochenbrüche und Herzinfarkte sollte man aber besser von einem Schulmediziner behandeln lassen.

Zurück zum Seiteninhalt