Versorgung mit Lebensmitteln - Wernges

Direkt zum Seiteninhalt

Versorgung mit Lebensmitteln

DORFLEBEN > Erste Jahre nach dem Krieg

Versorgung
Im Krieg war die Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern noch relativ gut. Vieles wurde aus den besetzten Gebieten „geholt“. Das hatte nach dem Krieg ein Ende.
Lebensmittel und andere Waren gab es auf Lebensmittelkarte und Bezugsschein.
In Wernges lebten die meisten Bewohner noch auf dem eigenen Bauernhof. Zwar mussten sie einen Teil der Ernte und auch Fleisch aus der eigenen Schweinezucht abgeben, aber für den Eigenbedarf reichte es dann meist doch noch.

(s. auch Wiegesäuchen)

Wir hatten noch etwas Ackerland und hielten 2 Schweine, Hühner, Ziegen und Stallhasen zur Selbstversorgung. So war es auch in einigen anderen Familien.     

Angebaut wurden Kartoffeln für die Eigenversorgung und Schweinemast, Getreide für die Hühner und als Kleie oder Schrot für die Schweine.  
Gras und Heu für die Stallhasen und Ziegen (Kuh des kleinen Mannes) lieferten die Feldwege und ungenutzten Flächen der Gemeinde. Diese wurden an den Meistbietenden für ein Jahr zur Nutzung verpachtet („verstrichen").


Foto: Deerings Kall auf der Geißeweid
Alle Feldarbeiten, die man nicht selbst erledigen konnte (Pflügen, Kartoffelroden, …), wurden von einem Bauern übernommen. Als Gegenleistung half die Familie (einschließlich Kinder) z. B. bei der Ernte in dessen Betrieb.

Kein Land besaßen die über 100 Heimatvertriebenen  und Evakuierten. Ihnen stand lediglich ein kleiner Acker (oberhalb des Wasserwerkes) zur Verfügung, den sie sich in Gartenbeete aufgeteilt hatten. Darüber hinaus arbeiteten sie für dringend benötigte Naturalien bei den Landwirten. Nicht alle werden sich abends satt ins Bett gelegt haben.

Zur Versorgung wurde noch zusätzliches Ackerland benötigt. Ein Waldstück am Ende des Willofser Weges wurde gerodet. Fritze Hein war gelernter Sprengmeister und sprengte die Baumstümpfe aus dem Boden. Das so gewonnene Holz nannte man Stockholz. Zur Verwertung des Holzes gründete er ein Unternehmen und hatte bis zu 30 Mitarbeiter.

Das neu gewonnene Ackerland sah anfangs noch sehr wüst aus. In Anlehnung an das damals vom Koreakrieg zerstörte Land nannte und nennt man dieses Flurstück noch heute „Korea“.

Foto: Fritze Hein verarbeitet das Stockholz.

 
Versorgung mit Lebensmitteln
Die Beschaffung der Lebensmittel und ihre Verarbeitung waren zeitaufwendig, arbeitsintensiv und/oder teuer.
 
Brot
Wir kauften unser Brot bei Bäcker Jost. Der  kam damals mit seinem Motorrad von Maar und brachte in seinem Anhänger Brot nach Wernges. Die meisten Werngeser lebten allerdings in landwirtschaftlichen Betrieben und backten im Backhaus ihr Brot selbst.

Kartoffeln
Die alteingesessenen Werngeser hatten Landwirtschaft oder zumindest einen Acker und konnten so Kartoffeln anbauen. Unsere Kartoffeln wuchsen am Bochenacker. Wir brauchten sie auch für unsere Schweine, Ziegen, Stallhasen und Hühner. Der kleine Stall lag auf dem Gelände zwischen Schomeiesch und Wähnesch. Dort hatte unsere Oma (Heiches Amich) ihr Häuschen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite baute mein Vater ab 1946 das neue Haus. Er machte vieles selbst und 1949 zogen wir mit Oma ein. Heiches Hiesche wurde (leider) abgerissen, aber Garten, Stall und Holzschuppen nutzten wir weiter, bis das Grundstück vor einigen Jahren an Schomeiesch verkauft wurde.

Milch
Im Milchkännchen holten wir abends die kuhwarme Milch bei Sippels unseren Nachbarn. Die Milch wurde frisch
oder gekocht getrunken. Ungekocht in die Speisekammer (Niemand hatte einen Kühlschrank.) gestellt wurde sie in kurzer Zeit zu wohlschmeckender Dickmilch (Sauermilch), die sich dann auch einige Tage hielt.
 
Möglich war dies, weil es in den Kuhställen von Bakterien wimmelte und man es mit der Hygiene nicht so genau nahm. Gemolken wurde mit der Hand und im Milcheimer schwammen  manchmal Fliegen und Strohhalme. Da waren dann auch garantiert Milchsäurebakterien dabei, die mit Sicherheit dafür sorgten, dass die frische Milch sehr bald zu Dickmilch wurde.
Mit unserer heutigen keimfreien Milch klappt dieser Prozess nicht. Ungekühlt und offen wird aus ihr eine widerliche Brühe.
Zu Anfang der Fünfziger Jahre hatten wir auch noch zwei Geiße (Ziegen) und damit auch Geißemelch. Ich kann mich zwar noch an den für mich unangenehmen Geschmack der Milch erinnern, aber regelmäßig getrunken habe ich sie bestimmt nicht. Gehalten hat mein Vater die Geiße vermutlich nur wegen unserer Oma, die an den Tieren hing. Jahrelang hatte sie einmal eine Ziege behalten, obwohl diese nie Milch gab.
Ich mochten die gelehrigen Tiere. Mein Vater brachte ihnen auch Dressurstückchen bei. Auf sein Kommando blieben die Geiße auf dem Weg zur Weide stehen und er amüsierte sich, wenn ich mit guten Worten und Löwenzahnblättern vergebens versuchte, die Ziege zum Weitergehen zu verleiten.
Stand und Ansehen hingen damals bei vielen Werngesern noch von der Anzahl der Hektar ab. Da konnten wir mit unseren paar Morgen und den Ziegen (Kuh des kleinen Mannes) natürlich nicht mithalten.
Als eine Werngeserin (mit vielen Hektar) einmal die roten Backen meines Bruders bewunderte und mit den Worten kommentierte: „Gäll, de drengt vill Geißemelch.“Hörte meine Mutter die Spitze: „Kuhmilch könnt ihr euch wohl nicht leisten!“, heraus und war verstimmt.
Ziegenmilch galt als sehr gesund. Ich glaube mich sogar daran zu erinnern, dass man  kranken Kindern Ziegenmilch zur Genesung gab. Unangenehm wie Medizin schmeckte sie ja.
 
Fleisch
Wir schlachteten ein oder zwei Schweine. Zu Wurst, Schinken, Solper und in Gläsern eingekocht deckte dies den Großteil des Jahresbedarfs. Zusätzlich gab es ab und zu noch einen Stallhasen oder ein Suppenhuhn. An Ostern wurden die Lämmchen der Ziegen geschlachtet.
Ganz selten kaufte meine Mutter mit Lebensmittelkarten auch noch zusätzlich Fleisch oder Wurst in einer Metzgerei in Lauterbach. Ich kann mich noch gut daran erinnern, weil man damals als Kind immer ein kleines Stück Fleischwurst geschenkt bekam und dann Danke sagen musste.
 
Eier
Wie die meisten anderen Hühner durften sich auch unsere damals noch frei bewegen. Lediglich der Hahn sorgte dafür, dass sie sich nicht zu weit entfernten oder gar in das Revier eines anderen Hahnes gelangten und dort "fremdgingen". Mangels Autos war die Gefahr auf der Straße überfahren zu werden für die Hühner sehr gering.
Gefüttert wurden sie von unserer Oma und sie holte abends auch die Eier.
Foto: Stöpplesch Lene füttert die Hühner
Garten
Gemüse und Obst lieferten die beiden Gärten links und  rechts der Udenhäuser Straße.
Erinnern kann ich mich an
Obst: 6 Apfelbäume, 1 Birnbaum, 3 Kirschbäume, 1 Spillingsbaum, 2 Zwetschgenbäume, 1 Pflaumenbaum, Stachelbeer- und Johannisbeersträucher
Gemüse: Weißkraut, Rotkraut, Blumenkohl, Mangold, Erbsen, Bohnen, Gurken, Salat, Möhren, ...
Sonstiges: Zwiebeln, Schnittlauch, Petersilie, Borretsch, Dill, ...
Obst, Bohnen, Erbsen, Möhren und Gurken wurden in Rexgläsern eingekocht und so für die restlichen Jahreszeiten haltbar gemacht.
Mit dem Krauthobel wurde das Weißkraut zerkleinert und mit Salz vermengt. In einem Fass reifte es dann zu Sauerkraut.

Foto: Die Rexgläser wurden im Einkochapparat erhitzt.

 
Einkaufen
Damals gab es in Wernges noch zwei Kaufläden –
                        Binges                                  und                       Pedesch.

 
Wir kauften bei Pedesch. Der Laden wurde damals von Pedesch Emma geführt, war also in doppelter Hinsicht ein Tante-Emma-Laden.
Zum Einkaufen schickte mich meine Mutter mit Einkaufszettel. Mein Gedächtnis war wohl schon damals nicht besonders gut. An einem Kirmesvormittag gab es auch Wurst zu kaufen. Mein Vater gab mir eine Mark, aber auf dem kurzen Weg bis Pedesch war der korrekte Auftrag verloren gegangen. Ich verlangte für eine Mark „Magenschwarten“ – damit konnte Emma nichts anfangen. Wieder zu Hause schickte mich mein Vater noch mal los. Für eine Mark Schwartenmagen, das verstand Emma. Peinlich war mir nur, dass sie die ganze Zeit schmunzelte.
Bis 1950 brauchte man zum Einkaufen noch Lebensmittelkarten.
Viele Dinge waren nicht verpackt. Zucker, Salz, Mehl, Bohnenkaffee, ... wurden gewogen und in Tüten oder mitgebrachten Behältern verkauft. Eingelegte Salzheringe bekam man in Zeitungspapier eingewickelt.
Oft war niemand im Laden. Man machte sich dann durch lautes Rufen bemerkbar und meistens kam Emma dann auch bald. Notfalls suchte man in Stall oder Scheune nach ihr. Die meisten Kunden waren sicherlich Kinder. Und die wenigsten hatten einen langen Einkaufszettel von der Mutter. Nicht selten wird Emma ihre Arbeit unterbrochen haben, um dann einem Kind für 5 Pfennige Zoggerstei zu verkaufen.
Die Preise erscheinen aus heutiger Sicht sehr niedrig zu sein. Das ist aber keineswegs der Fall. Wenn man beim Vergleich den damaligen Stundenlohn berücksichtigt, waren die meisten Produkte sehr viel teurer als heute. Ein extremes Beispiel ist der Bohnenkaffee. Für 500g musste 1950 ein Arbeiter eine halbe Woche arbeiten – heute keine 20 Minuten.

Vergleich Arbeitszeit/Produkt
Produkt                                                        1950                   1960                   2009
Brot                                   1 kg                      27 min                 20 min                11 min
Eier                                    10 Stück              2 h                                                    8 min
Vollmilch                            1 l                        19 min                                              3 min
Bohnenkaffee                    500 g                   26 h                      3 h                     19 min
Schweinekotelett               1 kg                     4 h                        3 h                     32 min
Herrenanzug                      1 Stück               109 h                                               17 h
Kleiderschrank                  1 Stück                147 h                                               38 h
Institut der Deutschen Wirtschaft

Bohnenkaffee gab es nur zu ganz besonderen Anlässen (Konfirmation, besonderer Besuch, ...). Ansonsten wurde Muckefuck (Lindes) getrunken. Vielleicht mischte man noch eine winzige Menge echten Bohnenkaffee dazu, damit man die Illusion hatte, dass es doch ein bisschen nach echtem Kaffee schmeckte.
Bei meinen Großeltern in Birkenbringhausen röstete man anfangs den „Kaffee“ noch selbst. In den Kaffeeröster wurde Gerste gefüllt und auf dem direkten Herdfeuer unter ständigem Drehen geröstet. Den Röster habe ich geerbt.
links: Kafferöster
 
Manchmal bekam meine Werngeser Oma Besuch von Binge Amich. In ihrem Taschentuch brachte diese dann einige Bohnen mit. Die wurden mit der Kaffeemühle gemahlen, in die Kaffeekanne gegeben und mit kochendem Wasser übergossen. Durch das Kaffeesiebchen gegossen ergab das dann 2 Tassen guten Bohnenkaffee. Man sprach über alte Zeiten, genoss die Tasse Kaffee und meine Oma war glücklich.
Foto unten Hessenpark: So ähnlich sah es damals auch bei Pedesch und Binges aus.
Zurück zum Seiteninhalt